Schlaganfall

Der Infarkt im Hirn

Schlaganfall

Ein Schlaganfall ist Folge einer plötzlichen Durchblutungsstörung des Gehirns. Dadurch erhalten die Nervenzellen im Gehirn zu wenig Sauerstoff und Nährstoffe und gehen zugrunde. Andere Begriffe für einen Schlaganfall sind Apoplexie, Hirninsult oder Hirninfarkt. Ein Schlaganfall ist immer ein Notfall, d.h. es muss sofort, ohne Zögern oder Abwarten, gehandelt werden. Durch schnelles Handeln lassen sich in vielen Fällen Folgeschäden minimieren. Jede Minute zählt. Deshalb sollte man sofort die 112 (Notdienst) anrufen, wenn Schlaganfall-Symptome auftreten.

Der Schlaganfall ist keine einheitliche Erkrankung; der Oberbegriff "Schlaganfall" wird vielmehr für eine Vielzahl unterschiedlicher Erkrankungen verwendet, die verschiedene Ursachen und damit auch unterschiedliche Therapien erfordern. Der Begriff wurde geprägt, als es noch nicht möglich war, die verschiedenen Formen und Ursachen dieser Erkrankung so zuverlässig festzustellen, wie es heute aufgrund der modernen Medizintechnik der Fall ist. Je nach Ursache sprechen Ärzt:innen daher heute z.B. präziser vom "Hirninfarkt", wenn der Schlaganfall durch eine Mangeldurchblutung des Gehirns hervorgerufen wurde oder von einer "Hirnblutung", wenn der Schlaganfall durch den Austritt von Blut in das Hirngewebe verursacht wurde.

Nach neuesten Schätzungen ereignen sich in Deutschland jährlich ca. 270.000 erstmalige Schlaganfälle. Der Schlaganfall ist nach Krebs- und Herzerkrankungen die dritthäufigste Todesursache in Deutschland.

Außerdem ist er die häufigste Ursache von Pflegebedürftigkeit: Rund 30 Prozent der Schlaganfall-Betroffenen bleiben dauerhaft auf pflegerische Unterstützung angewiesen. Eine qualifizierte Neurologische Rehabilitation ist die Voraussetzung dafür, Pflegebedürftigkeit weitest möglich zu vermeiden und jeder Patientin und jedem Patienten individuell die Ausschöpfung des eigenen Entwicklungspotentials zu ermöglichen.

Die Folgen des Schlaganfalls sind vielfältig und können unterschiedliche Funkionen unseres Körpers betreffen. Lähmungen, Empfindungsstörungen, Schluck- und Sprachstörungen sind nur einige Beispiele, die das Leben der Betroffenen beeinträchtigen.

Das menschliche Gehirn ist in verschiedene Regionen unterteilt, die unterschiedliche Vorgänge unseres Körpers steuern. So ist ein Bereich für die Produktion unserer Sprache, ein anderer für das Sprachverständnis zuständig. Die Folgen nach einem Schlaganfall richten sich nach der Region, in dem sich die Durchblutungsstörung ereignet hat. Daher sind die Beeinträchtigungen für die Patient:innen sehr unterschiedlich. Alle Schlaganfall-Patient:innen sind anders - ein individuelles Behandlungsprogramm ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Neurologische Rehabilitation.

Lähmung

Ein häufiges Symptom des Schlaganfalls ist die Lähmung einer Körperhälfte. Die Bewegung einer Körperhälfte wird jeweils von einer Gehirnhälfte gesteuert. Die linke Gehirnhälfte steuert die rechte Körperseite, die rechte Gehirnhälfte gibt Befehle an die linke Körperseite. So kommt es bei einem Schlaganfall typischerweise zur halbseitigen Lähmung der Muskulatur.

Je nach Zahl der betroffenen Gehirnzellen wird die Lähmung die gesamte Körperhälfte oder nur einen Bereich wie zum Beispiel die Hand betreffen. Auch der Grad einer Lähmung ist unterschiedlich ausgeprägt und reicht von einer leichten Taubheit oder Schwäche bis zur vollständigen Bewegungsunfähigkeit. Relativ häufig betroffen ist der Gesichtsnerv – dem sogenannten Fazialisnerv. Man spricht dann von einer zentralen Fazialisparese. Die Folge ist der Schiefstand der Gesichtsmuskulatur.

In der Medizin wird die Lähmung je nach Ausprägung unterschiedlich bezeichnet:

  • Monoplegie: Die Monoplegie ist die vollständige Lähmung eines Gliedmaßes (z. B. der Hand).
  • Paraplegie: Eine Paraplegie ist die vollständige Lähmung beider Beine oder Arme.
  • Hemiplegie: Die Hemiplegie beschreibt die Lähmung einer Körperseite.
  • Tetraplegie: Die Tetraplegie ist die vollständige Lähmung aller vier Gliedmaßen.
Spastiken

Nach einem Schlaganfall kann die Grundspannung des Muskels gestört sein. Durch eine erhöhte Spannung in den Muskeln kann dieser nicht mehr bewegt werden und es treten Schmerzen auf. Mediziner:innen sprechen in diesem Fall von Spastizität oder Spastik. Die Spastik nach einem Schlaganfall entsteht meist erst in den Wochen nach dem eigentlichen Ereignis.

Krankengymnastische Therapie ist entscheidend, um eine Spastik nach dem Schlaganfall zu verringern und die Bildung von Kontrakturen (Gelenkversteifung) zu verhindern.

Empfindungsfähigkeit

Die Einschränkung der Empfindungsfähigkeit ist eine weitere Folge des Schlaganfalls. Diese kann sich in Form von Kribbel- und Taubheitsgefühlen, aber auch dem Verlust der Wärme- oder Kälteempfindlichkeit der Haut äußern. Es können Schweregefühle auftreten oder das Empfinden, ein Teil des Körpers gehöre nicht mehr dazu.

Sprache

Üblicherweise liegt das Sprachzentrum bei rechtshändigen Personen in der linken Gehirnhälfte und bei linkshändigen entsprechend in der Rechten. Ist das Sprachzentrum betroffen, kann sich eine sogenannte Aphasie bilden. Aphasie bedeutet Sprachverlust oder Sprachstörung. Bei dieser Störung können je nach Ausmaß der Hirnschädigung, das Sprachverständnis sowie die Produktion der Sprache betroffen sein. Leichte Wortfindungsstörungen bis zum vollständigen Verlust der Sprache sind möglich. Die Sprache wird mit Unterstützung von Logopäd:innen bzw. Sprachtherapeut:innen neu trainiert.

Schluckstörung

Der Vorgang des Schluckens kann nach einem Schlaganfall gestört sein. Man spricht dann von einer Dysphagie. Die Schluckstörung kann sich in gelegentlichem Verschlucken äußern, die Nahrungsaufnahme aber auch völlig unmöglich machen. Durch das Verschlucken und versehentliche Einatmen von Nahrung besteht die Gefahr einer Lungenentzündung (Aspirationspneumonie). Die Lungenentzündung ist eine häufige Ursache für eine erhöhte Sterblichkeit der Schlaganfallpatienten. Betroffene müssen daher teilweise künstlich über eine Sonde ernährt werden und die Sensibilität der Mundhöhle durch Schluck- und Kautraining zurückgewinnen.

Kognitive Störungen

Zu den kognitiven Fähigkeiten eines Menschen zählen zum Beispiel die Aufmerksamkeit, die Erinnerung, das Lernen, die Kreativität, das Planen, die Orientierung und einige Fähigkeiten mehr, die nach dem Schlaganfall beeinträchtigt sein können.

Eine schwerwiegende Folge des Schlaganfalles ist die Apraxie, die eine Störung der Ausführung willkürlicher zielgerichteter und geordneter Bewegungen bezeichnet. Die Patient:innen sind nicht oder nur unter großen Bemühungen in der Lage, komplizierte Bewegungsabläufe zu vollführen. So kann das Anziehen eines Pullovers oder das Schmieren eines Butterbrotes Probleme bereiten. Dabei ist die Beweglichkeit der Arme oder Beine nicht gestört. Durch die Apraxie geht vielmehr die Fähigkeit verloren, die notwendigen Bewegungen im Gehirn zu entwerfen und Einzelbewegungen zu einem flüssigen Ablauf zusammenzusetzen.

Quelle: H.C. Diener, W. Hacke, M. Forsting (Hrsg.): Schlaganfall. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2004.

Der "unblutige" Schlaganfall (Ischämischer Infarkt oder Hirninfarkt) ist in etwa 80 Prozent die Ursache für Schlaganfälle. Er wird durch zwei verschiedene Mechanismen ausgelöst: Entweder verschließen oder verengen sich die Blutgefäße im Gehirn durch Gefäßverkalkung (Arteriosklerose) oder sie werden durch herangespülte Blutgerinnsel (Thromben) verstopft (Gehirnembolie).

Bei beiden Formen des Schlaganfalls ist das Hirnareal, das normalerweise von dem verschlossenen Gefäß versorgt wird, plötzlich von der Blutversorgung ausgeschlossen. Dadurch erhalten die Gehirnzellen nicht mehr ausreichend Sauerstoff und Nährstoffe und sterben ab. Andere Blutgefäße, die im Bereich des Hirninfarkts liegen, können undicht werden. Dies kann im weiteren Verlauf zu einer zusätzlichen Einblutung in das abgestorbene Hirngewebe führen. In diesem Fall verschlimmern sich die Beschwerden manchmal einige Tage nach dem Schlaganfall weiter.

Die wichtigsten Risikofaktoren für die Arteriosklerose und damit auch für einen Schlaganfall sind:

  • Bluthochdruck (Hypertonie)
  • Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)
  • Rauchen
  • Übergewicht
  • Hohe Blutfettwerte (Cholesterin und Triglyzeride)
  • Übermäßiger Alkoholkonsum

Auslöser für eine Gehirnembolie sind unter anderem:

  • Absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern
  • Andere Herzrhythmusstörungen
  • Herzinfarkte
  • Herzklappenfehler


Ursachen der Hirnblutung

Die Ursache der Hirnmassenblutung und Subarachnoidalblutung ist das Zerplatzen eines kleinen Blutgefäßes im Gehirn. Bei der Hirnmassenblutung drückt das Blut das Hirngewebe unter hohem Druck auseinander, es bildet sich ein Hohlraum, in dem sich das Blut sammelt (intrazerebrales Hämatom). Bei einer Subarachnoidalblutung gelangt freies Blut in den mit Hirnflüssigkeit gefüllten Subarachnoidalraum.

Risikofaktoren für einen Schlaganfall durch eine Hirnblutung (hämorrhagischer Hirninfarkt) sind:

  • Erhöhter Blutdruck (arterielle Hypertonie)
  • Erkrankungen des blutbildenden Systems und Gerinnungsstörungen (z.B. Thrombozytenstörungen, von-Willebrandt-Jürgens-Erkrankung, Bluterkrankheiten wie Hämophilie A und B)
  • Anwendung von blutverdünnenden Medikamenten (z.B. Heparin, Marcumar)
  • Fortgeschrittene Lebererkrankungen wie eine Leberzirrhose
  • Gefäßmissbildungen wie krankhafte Ausbuchtungen von Gefäßen (Aneurysmata) oder geschwulstähnliche Neubildungen von Blutgefäßen (Angiome)
  • Veränderungen der Blutgefäße durch Ablagerungen von abnorm veränderten Eiweißen (Amyloidose) oder Gefäßentzündungen (Vaskulitis)

Seltene Ursachen

Sehr seltene Ursachen für Hirninfarkte sind beispielsweise Entzündungen der Gehirngefäße.

Je früher nach einem Schlaganfall die Behandlung begonnen wird, umso größer sind die Chancen der Betroffenen, dass nur wenige Schäden zurück bleiben oder die Beein­träch­tigungen sich im Laufe der Zeit sogar vollständig zurück bilden. Eine optimale Behandlung mit Überwachung der wichtigen Funktionsdaten von Kreislauf, Herz und Gehirn bieten Kliniken, die über eine spezielle Schlaganfall-Abteilung ( "Stroke Unit" ) verfügen.

Ein Schlaganfall ist immer ein Notfall. Diese Erkenntnis ergibt sich aus der Erfahrung, dass alle Maßnahmen zur Verbesserung innerhalb der ersten 3 Stunden (am besten in der ersten Stunde) ihre beste Wirkung entfalten.

Hat die Untersuchung der Patientin oder des Patienten ergeben, dass der Schlaganfall durch ein Blutgerinnsel in einer Gehirnarterie verursacht wurde, muss der Blutpfropf so schnell wie möglich aufgelöst werden. Blutverdünnende Medikamente (Antikoagulatien) werden eingesetzt, um die Blutgerinnung zu hemmen. Sie verhindern die Vergrößerung vorhandener und die Bildung neuer Gerinnsel.

Ist eine Hirnblutung die Ursache für einen Schlaganfall, führt das zusätzliche Blutvolumen zu einer Druckerhöhung im Schädelinneren. Die Folge ist eine zusätzliche Schädigung von Nervengewebe. Die Patientin oder der Patient muss dann unter Umständen operiert werden, um das aus dem gerissenen Gefäß ins Gehirn ausgetretene Blut zu entfernen.

Eng mit der Akuttherapie verzahnt schließt sich die Rehabilitation an, die in einer spezialisierten Einrichtung durchgeführt sollte. Der Aufenthalt in einer Rehabilitationsklinik kann unterschiedlich lange dauern, abhängig vom individuellen Zustand der Patient:innen und dem Ausmaß der Funktionsstörungen.

In der Rehabilitation können verloren gegangene Fähigkeiten entweder vollständig oder teilweise wiedererlangt werden. Intakte Bereiche des Gehirns übernehmen dabei die Funktion der geschädigten Areale, und die geschädigten Hirnbereiche regenerieren sich teilweise.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Rehabilitation ist die enge Zusammenarbeit von Ärzt:innen verschiedener Fachrichtungen, Physiotherapeut:innen, Ergotherapeut:innen, Sprachtherapeut:innen (Logopäd:innen), Sozialarbeiter:innen und anderen mit den Patient:innen und ihren Angehörigen.

Eine wichtige Aufgabe der Rehabilitation ist es neben der Wiederherstellung ausgefallener Funktionen, die Betroffenen darin zu unterstützen, mit bleibenden Beeinträchtigungen zu leben und sich damit im Alltag zurechtzufinden. Der Motivation der Patient:innen kommt dabei eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Je aktiver er bei den Übungen mitwirkt, umso größer ist der Rehabilitationserfolg.

Interview mit Prof. Dr. Joachim Liepert, Ärztlicher Leiter Neurorehabilitation, Kliniken Schmieder Allensbach

„Schlaganfälle können vermieden werden"

Aufklärung und Prävention zum Thema „Schlaganfall“ sind von großer Bedeutung, denn wer die Risikofaktoren kennt, kann besser vorbeugen. Selten kommt ein Schlaganfall schlagartig aus heiterem Himmel. In Deutschland gehört er zur dritthäufigsten Todesursache.

Der Schlaganfall ist eine der häufigsten Erkrankungen im Zusammenhang mit unseren Blutgefäßen. Wo liegen hierfür die Ursachen?

Liepert: Risikofaktoren sind hoher Blutdruck, hohe Blutfette, eine Blutzuckererkrankung, das Rauchen, Übergewicht oder Bewegungsarmut, man könnte von Wohlstands- oder Zivilisationskrankheiten sprechen. Aber auch vom Herzen können Gerinnsel ausgehen, die einen Schlaganfall hervorrufen. Ebenfalls besteht ein erbliches Risiko.

Was passiert genau bei einem Schlaganfall?

Liepert: Meist ist der Auslöser eine Mangeldurchblutung (Ischämie) des Gehirns oder aber eine Hirnblutung. Das Gehirn wird nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt und innerhalb von ganz kurzer Zeit sterben Nervenzellen ab – wenn man so will schlagartig. Es kommt zum Zelltod. In Randbereichen eines mangelversorgten Gehirnareals ist die Blutzufuhr zwar auch deutlich reduziert, aber die Zellen stellen, da noch ein Mindestmaß an Sauerstoff und Nährstoffen transportiert wird, ihre Tätigkeit nur vorübergehend ein. Gerade diese Areale können bei frühzeitiger Therapie noch gerettet werden.

Gibt es Hirnregionen, die besonders häufig von einem Schlaganfall betroffen sind?

Liepert: Ja, aber grundsätzlich kann jede Hirnregion betroffen sein. Mit der bildgebenden Diagnostik, Computer- oder Kernspintomographie kann der Neurologe schnell die Region lokalisieren. Auch aus den Symptomen lassen sich rasch Rückschlüsse auf die betroffenen Regionen ziehen.

Wie kann man einen Schlaganfall erkennen, gibt es Zeichen, die darauf hindeuten?

Liepert: Oft, aber bei weitem nicht immer, verläuft ein Schlaganfall für alle Beteiligten dramatisch. Typischerweise treten Ausfallserscheinungen plötzlich auf. Vorübergehende Funktionsstörungen können sich im Vorfeld bemerkbar machen, z.B. Sehstörungen auf einem Auge, Lähmungserscheinungen eines Armes oder einer Gesichtshälfte, Gefühlsstörungen im Bereich des Gesichts, des Armes oder des Beines, Sprachstörungen bei Wortfindung und Verstehen, oder auch Doppelbilder. Hier sollte unverzüglich der Rettungsdienst über „112“ alarmiert werden.

Trifft es vorwiegend ältere Menschen oder gibt es auch junge Betroffene?

Liepert: Meistens sind es ältere Menschen, doch ein Schlaganfall kann in jedem Lebensalter auftreten. Insbesondere bei jüngeren Menschen können auch Einblutungen in die Gefäßwände, sogenannte Dissektionen, als Ursache eines Schlaganfalls auftreten. Sie entstehen oftmals spontan, können aber auch durch Sportunfälle oder einen Auffahrunfall hervorgerufen werden. Weitere Ursachen können ein großes Loch in einer Herzwand oder Herzklappenentzündungen oder Gefäßentzündungen sein, aber auch angeborene Blutgerinnungsstörungen können Schlaganfälle verursachen.

Wie kann ich mich schützen, vorbeugen, einen Schlaganfall vermeiden?

Liepert: Entscheidend sind hier das Wissen und die Aufklärung sowie ein aktives Vorbeugen. Durch eine gesunde und ausgewogene Lebensführung können Gefäßerkrankungen verringert werden, durch regelmäßige Bewegung, Sport und gesunde Ernährung. Von großer Bedeutung ist ebenfalls, dass Patient:innenen rechtzeitig auf eine neurologische Stroke-Unit (Schlaganfall-Einheit) eingeliefert werden, wo eine optimale Versorgung stattfinden kann. Wenn dies geschieht, können häufig Dauerschäden vermieden werden, die nicht nur den Menschen selbst, sondern auch dessen gesamtes soziales Umfeld stark belasten können. Gerade bei der flächendeckenden Versorgung durch die Stroke-Units wurden lokal und regional in der Notfallversorgung seit den 1990er Jahren große Fortschritte gemacht.

Sie sprechen die Belastungen des gesamten Umfeldes an, wie äußern sich diese?

Liepert: Über ein Drittel der Patient:innen mit Schlaganfall entwickeln früher oder später eine Depression, die sehr häufig behandlungsbedürftig ist. Aber das Problem betrifft auch die Angehörigen, die viel Zeit und Energie investieren, um die Betroffenen zu versorgen.

Sie wiesen vorher auf die rasche Erstversorgung bereits hin, wieso ist diese so wichtig?

Liepert: „Time is brain“ ist hier ein feststehender Begriff. Innerhalb der ersten 4,5 Stunden nach Beginn der Symptome kann man eine Lyse-Behandlung, die das Blutgerinnsel auflösen soll und in Form einer einstündigen Infusion durchgeführt wird, anwenden. Je eher man mit dieser Behandlung beginnt, desto größer sind die Chancen, Gehirngewebe zu retten.

Welche Therapiemöglichkeiten bestehen?

Liepert: Dies ist sehr unterschiedlich und hängt von der jeweiligen Schädigung der Patientin oder des Patienten ab. Wir stellen also einen individuellen Therapieplan zusammen. Dabei können wir auf ein breites Therapiespektrum zurückgreifen und setzen modernste Therapiegeräte ein. Über unser Forschungsinstitut gelingt es uns außerdem, immer wieder neue Therapieinnovationen wie z.B. das Videotraining nach Schlaganfall in Konstanz zu entwickeln.

Christian Seiwert kämpfte sich erfolgreich aus dem Rollstuhl

»Wichtig war mir schnell wieder selbstständig und mobil zu werden«

Mediainfarkt

Der Mediainfarkt ist die häufigste Form des Schlaganfalls. Über 200.000 Menschen in Deutschland erleiden jährlich einen Schlaganfall im Bereich der mittleren Hirnarterie, die der größte Ast der vorderen Halsschlagader ist. Häufig werden Embolien, z.B. aus dem Herzen, direkt in die mittlere Hirnarterie weitergetragen. Ausgelöst wird ein Mediainfarkt durch Thromben oder Embolien, die wiederum auf Arteriosklerose, Bluthochdruck, Diabetes Mellitus oder andere Ursachen zurückführen. Die mittlere Hirnarterie ist mit das wichtigste Gefäß für die Blutversorgung des Gehirns. Sie versorgt den größten Teil der seitlichen konvexen Hirnfläche (Stirn-, Scheitel- und Schläfenlappen u.a.).

Christian Seiwerts Leidenschaft ist die auf Rädern. Zweiräder, Vierräder – am liebsten die gut motorisierten. Rollstühle gehörten eigentlich nicht dazu. Doch genau in einem solchen landet er nach einem Schlaganfall, den er im August 2012 in seinem Garten erleidet. Doch mit viel Ehrgeiz und Wille kämpft er sich zurück auf die Beine. Mittlerweile läuft er nicht nur beinahe problemlos, sondern ist im Auto und im Liegerad auch wieder auf den Straßen unterwegs. Die Kraft hierfür schöpft er vor allem aus der Unterstützung durch seine Freunde.

"Ich bin gelernter KFZ-Mechaniker und kam an den Bodensee um die Ruhe dort zu genießen. Das tat ich auch eine Weile, habe Freunde gefunden, alles war gut, bis der Schlaganfall kam. Am 27. August 2012 arbeitete ich eben an der Terrasse in meinem Garten auf der Insel Reichenau als ich plötzlich einfach umgekippt bin. Ich habe feste in meine Hand gebissen und es nicht einmal gespürt. Zum Glück haben meine Vermieter:innen sofort erkannt, was los ist und den Notarzt gerufen. Sechs Tage lang lag ich auf der Intensivstation, dann kam ich für vier Monate mit einer Lähmung in der linken Seite zur Reha in die Kliniken Schmieder nach Gailingen. Dort wurde mir dann gesagt, dass ich vermutlich in ein Altenheim muss, da ich alleinstehend bin und mich nicht selbst versorgen konnte. Das war ein Schlag für mich und da habe ich beschlossen, mir das Anziehen, Waschen und auf Toilette gehen auf eigenes Risiko wieder beizubringen. Ich bin vor dem Wecken aufgestanden und habe geübt und eines Tages als die Schwester morgens ins Zimmer gekommen ist, bin ich schon fix und fertig und frisch rasiert im Rollstuhl gesessen. Danach bin ich nach Hause gekommen und wurde dort vom Roten Kreuz betreut. Die Unselbständigkeit war trotzdem weiterhin schrecklich, und ganz schlimm für mich als Motorradfahrer war die Tatsache plötzlich an den Rollstuhl gefesselt zu sein. Doch dann habe ich mir gedacht: „Das kann nicht alles gewesen sein!“ Also verkaufte ich mein Auto und auch mein Motorrad und habe mich voll und ganz auf die ambulante Reha konzentriert. Angetrieben wurde ich zusätzlich von meiner Vermieterin, die mich zu Hause sozusagen aus dem Rollstuhl heraus geprügelt hat und täglich mit mir im Hof gelaufen ist. Das ging mit der Zeit immer besser und dann habe ich gemerkt, dass aus meinem Körper noch sehr viel mehr rauszuholen ist. Einen weiteren Schub gab mir auch mein zweiter stationärer Reha-Aufenthalt in Allensbach im Herbst 2013, durch den es deutlich bergauf ging.

Wichtig war mir vor allem schnell wieder selbständig und mobil zu werden. Ich habe zwei Fahrstunden gehabt und bekam schließlich nach einigen Tests ein ärztliches Gutachten, dass ich fahrtüchtig bin. Mit dem Gutachten in der Hand habe ich sofort telefonisch begonnen mir ein Auto mit Automatik zu suchen. Acht Tage später bin ich in meinem Smart schon durch die Gegend gefahren. Das war für mich das absolute Highlight! Das Auto ermöglicht mir selbständig die 10 Kilometer zu den ambulanten Terminen nach Allensbach zu fahren und wenn das Wetter schlecht ist, komme ich selbst sonntags in die Klink um in den Gängen das Laufen zu trainieren und mich mit anderen Patient:innen zu unterhalten. Die Gespräche und die sichtbaren Erfolge motivieren alle gegenseitig. Der Kontakt mit den anderen Patient:innen hat mir auch geholfen mich damit abzufinden, was passiert ist. Früher war ich immer Hans Dampf in allen Gassen. Das konnte nicht ewig gut gehen. Mittlerweile betrachte ich den Schlaganfall als Bremse für meinen Körper, die vielleicht sogar schlimmeres vermieden hat.

Dann habe ich ein Liegerad von einem Freund bekommen, das ich selbst umgebaut habe, also die Schaltung der linken Seite auf die rechte verlegt, da die linke Hand noch nicht stark genug ist. Damit fahre ich nun jeden zweiten Tag mindestens 20 Kilometer und das bringt mich unheimlich weiter. Früher kannten mich alle auf der Reichenau nur auf dem Motorrad - und dann plötzlich im Rollstuhl. Das war gar nichts. Und wenn ich jetzt auf dem Rad vorbei fahre, habe ich das Gefühl, dass sich die ganze Insel mit mir freut, dass ich so weit gekommen bin.

Mittlerweile reagiert auch mein linker Arm auf die Spiegeltherapie, bei der das Gehirn sozusagen ausgetrickst wird. Deshalb habe ich mir für zu Hause einen Spiegel bauen lassen um auch dort zu trainieren. Man muss kämpfen, ehrgeizig sein und den Willen haben immer weiter zu arbeiten, das rate ich auch allen anderen Betroffenen.

Mittlerweile mache ich meinen kompletten Haushalt alleine und der linke Arm beginnt sich auch immer besser zu bewegen. Im Frühjahr habe ich sogar meine Gartenmöbel selbst abgeschliffen und gestrichen – da haben die Nachbar:innen aber geschaut! Beim Einkaufen kommt es immer häufiger vor, dass ich den Stock an ein Regal anlehne und vergesse, da ich einfach loslaufe ohne es zu merken. Dann muss ich zurück und ihn suchen gehen.

Dass ich wieder so selbständig bin liegt daran, dass ich immer gekämpft und nie aufgegeben habe. Ich verdanke es aber auch den Therapeut:innen, dem ganzen Umfeld und auch meinen Freund:innen. Die sind sehr dünn in so einer Situation, aber die guten, die bleiben, und die haben mir wahnsinnig geholfen und die schätze ich nun umso mehr und bin ihnen sehr dankbar. Es ist die Kombination aus all dem was mich so weit gebracht hat. Und ich bin unheimlich stolz auf das was ich erreicht habe.

Als nächstes Ziel habe ich mir vorgenommen ganz ohne die Unterstützung durch den Stock zu laufen, den linken Arm und die Hand noch besser zu bewegen und ein normales Fahrrad fahren zu können. Dafür übe ich momentan viel auf der Slackline, auf der ich lerne die Balance zu halten. Ich bin für jeden Spaß zu haben!"

Kontakt