»Vertrauen ist wichtig. Davon habe ich hier sehr viel«

Patienten berichten

Karl-Heinz Laudage erschließt sich trotz HMSN neue Lebensräume

»Meine Krankheit war für mich immer eine Situation«

Neurale Muskelatrophie (HMSN)

Bei HMSN (oder neurale Muskelatrophie) handelt es sich um eine vererbbare Erkrankung des Nervensystems, die sowohl die motorischen Fähigkeiten (die Bewegung), als auch die sensorischen Fähigkeiten (die Empfindung) beeinflussen kann. Dabei sind die für die Steuerung der Bewegung verantwortlichen motorischen Nervenfasern meist wesentlich stärker betroffen als die für die Vermittlung von Empfindungen zuständigen sensorischen Fasern. Durch die Krankheit kommt es zur fortschreitenden Degeneration der peripheren Nerven. Allen Formen von HMSN ist gemeinsam, dass sich zunächst an den Füßen Muskelschwund und damit verbunden Muskelschwäche entwickeln. Die Symptome steigen dann an den Unterschenkeln auf, betreffen später die Hände und Unterarme und manchmal auch die Oberschenkel.

Er fährt mit dem Rollstuhl beschwingt durch die Flure der Kliniken Schmieder Konstanz, grüßt links und rechts Therapeuten und Patienten wie alte Freunde und zitiert hier ein kleines Gedicht oder scherzt dort mit einem vorbeigehenden Arzt. Im offenen und fröhlichen Gesicht von Karl-Heinrich Laudage sieht man keine Spuren der Krankheit, die ihn schon seit früher Jugend begleitet: Neurale hereditäre sensomotorische Neuropathie (HMSN). Seit vielen Jahren kommt er immer wieder in die Kliniken Schmieder nach Konstanz zur Reha, um der sukzessiven Degeneration seiner Muskeln entgegen zu wirken.

"Die Diagnose MHSN wurde bei mir im Alter von 28 Jahren gestellt. Eingetreten ist sie aber schon früher. Mit 14 hatte ich eine linksseitige Lähmung. Ab da haben sich meine Füße verkrüppelt. Ich erinnere mich noch, wie ich mit 17 auf dem langen Flur der Berufsschule zum ersten Mal meinen ungleichmäßigen Gang gehabt habe. Zu der Zeit habe ich auch "Die Glasmenagerie" von Tennessee Williams gesehen und habe mir gedacht: Die gehbehinderte Laura ist ja auch weitergekommen. Wenn die das schafft, dann schaff ich das auch - und so war es.

Meine Krankheit war für mich immer eine Situation, nie ein Problem. Als es mir einmal schwerfiel, habe ich meine Lebensräume fotografiert: die Geborgenheit meiner Wohnung, die Qualität der Kleinstadt mit Weltflair, die Morgensonne, den Abendhimmel und die Allee mit ihrer Flora, durch die ich jeden Tag fahre, waren meine Motive. Mit besonderen Gedichten verbunden habe ich sie zu einem Leporello gestaltet und wenn ich das aufziehe, bin ich in einer begnadeten Welt. Die besondere Geborgenheit erfahre ich in meiner Großfamilie und dem Freundeskreis, in den ich mich einbringe. Meine Nichte sagte: 'Früher hast du uns mitgenommen, jetzt nehmen wir dich mit'.

Die mir nun erschlossene Zeit habe ich vorrangig zum Erhalt der verbliebenen Gesundheit genutzt. Ich bin nach meiner Berentung mit 37 wegen der Thermalbäder nach Baden-Baden gezogen. Hier konnte ich dann unerwarteterweise aktiv sein: Es wurde bekannt, dass ich zuvor einen Preis als Puppenspieler bekommen habe und ich bekam einen Lehrauftrag bei der Volkshochschule. Das Talent für diese Leidenschaft hat mir die Fünfte Fee in die Wiege gelegt. Auch wenn ich selber nur noch wenig Figuren schnitzen, bauen und führen konnte, so konnte ich mein Wissen weitergeben. Als Amateure haben wir semiprofessionell für Groß und Klein Figurentheater geboten und 10 Jahre gespielt. Wäre ich gesund geblieben, hätte ich im bürgerlichen Beruf gearbeitet. So aber habe ich Märchen erzählt, zum Beispiel in Peking, Paris und Peckelsheim.

Als sich meine Bewegungsfreiheit immer mehr einschränkte und ich nicht mehr in die Thermalbäder gehen konnte, habe ich mich an Schmieder erinnert. Dort war ich zu meiner Berentung schon einmal. Seit bald 10 Jahren komme ich nun immer wieder hierher, es ist sehr wichtig für mich.

Ich kann inzwischen nicht mehr gehen und auch nicht richtig stehen, aber ich profitiere ungemein von der interdisziplinären Behandlung hier. Im Schwimmbad kann ich rein- und rausgehoben werden, das schätze ich sehr. Am meisten hilft mir in der Rehabilitation die Regelmäßigkeit, mit der ich mich hier bewege - zuhause ist das so für mich nicht mehr möglich. Ich mag besonders gerne Ergo- und Physiotherapie, Wassertherapie, Lymphdrainage und Gymnastik. Meine Therapeutinnen und Therapeuten wissen sich ganz auf mich einzustellen, und ihre fachliche und menschliche Qualifikation hilft mir im Besonderen. Ich bin ihnen allen sehr dankbar.

Mein Ziel hier bei Schmieder ist es, die mir noch mögliche selbstständige Lebensführung zu erhalten. Mich selber an- und ausziehen können, waschen, weiterhin für mich und Gäste kochen. Um diese Lebensqualität zu erhalten, dafür komme ich hierher. Die Rehabilitation stabilisiert mich, sie baut mich auf. Vor der jetzigen Reha konnte ich gar nicht stehen, jetzt kann ich es kurzzeitig. Und meine vorher starren Finger sind auch wieder beweglich.

Wenn ich ein Fazit ziehe: Aufgrund meiner positiven Einstellung war es mir möglich, aus der alten Situation etwas Neues entstehen zu lassen. Und das war mir natürlich aufgrund dieser intensiven körperlichen Unterstützung in der Therapie bei den Klinken Schmieder möglich. Ich sehe meine Zukunft positiv. Früher habe ich in der Werkstatt gestanden, habe Figuren geschnitzt, Musik gehört und war glücklich. Jetzt sitze ich in der Küche, höre Musik, schäle Kartoffeln, bewirte Gäste und bin glücklich.

Ich würde anderen Patienten raten, selber aktiv zu sein, sich vielleicht auch in Demut bis zu einem gewissen Grad in das Schicksal zu ergeben. Ich würde auch raten, Hilfsmittel in Anspruch zu nehmen. Sich also nicht gegen den Rollstuhl wehren. Ich habe Vertrauen in die Kliniken Schmieder, und aufgrund dieses großen Vertrauens, des Erfolges und der persönlichen Zuversicht bin ich immer wieder hier."

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