»Mein Körper hat sich wieder erinnert.«

PATIENTEN BERICHTEN

DER SCHLAGANFALL WURDE ZU EINEM PRÄGENDEN EREIGNIS AUF DEM LEBENSWEG VON VOLKER KUCHELMEISTER

»Der Wille ist wichtig«

Schlaganfall

Der Schlaganfall ist keine einheitliche Erkrankung; der Oberbegriff „Schlaganfall“, auch Apoplex oder Hirninsult genannt, wird für eine Vielzahl unterschiedlicher Erkrankungen verwendet, die verschiedene Ursachen und damit auch unterschiedliche Therapien erfordern. Je nach Ursache sprechen Ärzte präziser vom „Hirninfarkt“, wenn der Schlaganfall durch eine Mangeldurchblutung des Gehirns hervorgerufen wurde oder von einer „Hirnblutung“, wenn er durch den Austritt von Blut in das Hirngewebe verursacht wurde. Knapp 270.000 Schlaganfälle* ereignen sich jährlich in Deutschland, etwa 200.000 davon sind erstmalige Schlaganfälle.
*Angaben der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe

Volker Kuchelmeister ist Vollblut-Jazzmusiker und Lebemann. Ein Schlaganfall bringt ihn in eine Hilflosigkeit, die ihn anfangs in die Verzweiflung stürzt. Doch dank seiner Familie und seines unbändigen Willens stellt er sich der Herausforderung und findet langsam wieder ins Leben zurück. Immer vor Augen hat der 73-Jährige dabei sein ganz großes Ziel: Er will wieder zurück auf die Bühne.

„Ich erinnere mich noch ganz genau: Ich saß zuhause am Computer und habe gerade an meinem neuesten Projekt „Sax liebt Klassik“ gearbeitet. Dabei interpretiere ich klassische Stücke modern in meinem Stil. Plötzlich ging die linke Hand nicht mehr. Ich wollte aufstehen und bin gestürzt, konnte mich nicht mehr bewegen. Gott sei Dank war meine Frau Ille da. Wir dachten zuerst an einen eingeklemmten Nerv und haben eine befreundete Physiotherapeutin angerufen. Die hat bei der Schilderung der Symptome sofort erkannt: Das ist ein Schlaganfall. Dann ging alles ganz schnell. Im Krankenhaus in Friedrichshafen habe ich eine Lyse-Therapie bekommen und ich habe erwartet, dass am nächsten Tag alles wieder gut sein würde. Von wegen. Ich war praktisch hilflos und fühlte mich wie ein Käfer auf dem Rücken. Ich konnte nicht mehr aufstehen, nicht mehr laufen, und meine linke Hand ging nicht mehr. Wie sollte ich Klarinette oder Saxophon spielen ohne meine Hand? So wollte ich nicht leben.

Dann kam ich zu den Kliniken Schmieder Allensbach. Anfangs war ich wirklich zu gar nichts in der Lage. Da war für nichts mehr Energie da, ich wollte nur liegen und nichts tun. Dann haben die Schwestern gesagt, nix da, das ist kein Hotel, das ist Reha. Darüber waren wir uns zuerst nicht einig, aber natürlich war es genau das Richtige, was sie gesagt haben. Ich musste einfach richtig aufwachen.

Und so habe ich angefangen, nachts im Geiste Klarinette zu spielen. Die Krankenschwestern haben sich gewundert, warum ich immer wach war – ich müsse doch schlafen. Ich wollte aber nicht schlafen, ich wollte meine Situation so schnell wie möglich ändern. Dabei habe ich es anfangs oft auch übertrieben. Es hat gedauert, bis ich erkannt habe, dass Ruhezeiten wirklich wichtig sind. Doch die vielen wertvollen Therapien und mein Mentales Training haben sich gelohnt. Eines Tages konnte ich einen Finger meiner linken Hand wieder bewegen. Nur ganz leicht zuerst, aber für mich war es ein unglaublicher Moment – wie Weihnachten und Ostern zusammen. Das war der Funke, der meine Hoffnung wieder entzündet hat und ich wusste: ‚Jetzt hat sich mein Körper wieder erinnert, jetzt geht’s aufwärts‘.

Ich wollte auch wieder gehen lernen. Dass ich selbstständig auf die Toilette gehen kann, war mir ebenfalls sehr wichtig. Ich habe mich immer mit meinem Enkel Oskar verglichen, der lernte das alles etwa zur gleichen Zeit. Wenn der umgefallen ist, dann machte das nichts, der stand einfach wieder auf. ‚So wie Oscar mach ich das auch‘, dachte ich mir. Ich wollte einfach keine Last sein für meine Frau und meine Familie.

Heute kann ich wieder alleine in meiner Dusche stehen und duschen, das ist sensationell. Ich kann schon ziemlich gut gehen und meine Hand wieder bewegen – wenn auch noch nicht gut genug für die Klarinette. Die Therapeuten und Schwestern sind einfach klasse hier – mein Kompliment, die haben einen tollen Job gemacht. Aber am Ende können sie einen nur unterstützen und begleiten, machen muss man es selber. Auch nach meiner Zeit bei Schmieder geht die Reha bei mir zuhause deshalb weiter.

Ich habe hier viel Schönes erlebt – besonders wertvoll ist es, wie sich die Patienten gegenseitig ermuntern und anfeuern. Als die anderen Patienten gesehen haben, wie ich beim Gehtraining plötzlich laufen konnte, haben sie alle geklatscht. Das war toll, und es hilft. Wie in einer großen Familie: Man freut sich an den gegenseitigen Fortschritten, man erzählt sich seine gegenseitigen Geschichten, man nimmt Anteil.

Der Schlaganfall ist zu einem prägenden Ereignis in meinem Leben geworden, und nicht nur im Negativen. Ich habe dadurch meine Familie und Freunde besser kennengelernt und erkannt, wie unglaublich wertvoll sie sind, allen voran meine Frau Ille – ohne sie hätte ich das nicht geschafft. Ich habe auch mich selbst und meine Grenzen dadurch besser kennengelernt. Mein großes Ziel ist der Weg zurück in die Musik. Ich möchte wieder auf der Bühne stehen und spielen können. Es gibt verschiedene Projekte, an denen ich weiter arbeiten möchte und meine Musikerkollegen fragen öfter wegen Gigs an. Ich sag‘ dann nur: ‚Leute, be cool – ich kann im Moment noch nicht‘.

Was ich anderen wünsche: eine positive Einstellung und einen starken Willen. Ein Ziel, mit einem Willen untermauert – das ist das Wichtigste.“

Kontakt