Fatigue und Fatigability

Forschungsschwerpunkt

Fatigue und Fatigability

Unterschiedliche neuronale Korrelate

Dr. Stefan Spiteri, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Lurija Instituts, hat im Rahmen seiner Promotionsarbeit neuronale Korrelate der Fatigue mittels funktioneller Bildgebung bei 40 Patient:innen mit Multipler Sklerose im Vergleich zu 22 gesunden Proband:innen untersucht. Fatigue wurde bei den Patient:innen mittels Fatigue-Skala für Motorik und Kognition (FSMC) bestimmt (subjektive Wahrnehmung der Patient:innen über die letzten Wochen hinsichtlich ihrer Müdigkeit und Erschöpfbarkeit). Die Bewertung im Fragebogen stellt einerseits ein subjektives Korrelat der Fatigue dar, andererseits eine durchschnittliche und dauerhafte Komponente (sogenannte Trait-Komponente). Im Scanner mussten Patient:innen und Proband:innen die anstrengende N-back Aufgabe lösen, die über einen Zeitraum von etwa 30 Minuten kontinuierlich hohe Konzentration voraussetzte. Die Einschätzung der Erschöpfung der Teilnehmer:innen (Fatigability) wurde im Verlauf der Untersuchung im Scanner vor und nach jedem Testdurchlauf insgesamt sieben Mal abgefragt und auf einer visuellen Analog-Skala dargestellt (State-Komponente). Zu Beginn und nach Beendigung der MRT-Untersuchung wurde eine einfache Reaktionszeitmessung durchgeführt (Alertness).

Die durch die Aufgaben induzierte Erschöpfung wurde zum einen als subjektive Empfindung, aber auch als objektive Veränderung der Leistung erfasst. Sie stellt demnach einerseits ein vorübergehendes Phänomen dar (State-Komponente), andererseits repräsentiert sie die kognitive Fatigability (im Gegensatz zur Fatigue).

Das neurale BOLD-Signal wurde sowohl mit der initialen subjektiven Einschätzung der Fatigue in den letzten Wochen (Trait-Komponente) als auch mit der durch die Aufgabe induzierten Veränderungen (State-Fatigue/Fatigability) korreliert. Der aufgabenorientierte (task-dependent-Aktivierungen) Leistungsabfall korrelierte vor allem mit einer Abnahme von Aktivität in verschiedenen motorischen und aufmerksamkeitsassoziierten Arealen (Abb. 1a) und stellt die „state“ Komponente bzw. die Fatigability dar. Die subjektive Trait-Komponente spiegelte sich vor allem durch erhöhte Aktivität im Anterioren Cingulum wider (Abb. 1b).

Insgesamt zeigt die Untersuchung sehr schön, dass es sich bei der Fatigue um ein komplexes Phänomen handelt, bei dem es einerseits zum Nachlassen (Erschöpfung) neuronaler Aktivität kommt, andererseits zur kompensatorischen Zunahme von Aktivität.

Motorische Fatigability

In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Manfred Vieten, Universität Konstanz, hat Aida Sehle, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Lurija Instituts, in ihrer Promotionsarbeit eine Methode entwic­kelt, um das Gangbild mittels Attraktoren zu analysieren. Die Attraktoren weisen eine hohe Stabilität auf und sind vermutlich für jede Einzelperson charakteristisch. Andererseits sind sie hochsensibel gegenüber intraindividuellen Veränderungen. Daher eignet sich die attraktorbasierte kinematische Analyse herausragend gut, um Veränderungen des Gangbildes, wie sie bei der motorischen Fatigability auftreten, zu objektivieren und zu messen. Dadurch ist es möglich motorische Fatigability nicht nur auf Gruppenebene, sondern im Einzelfall bei Patient:innen nachzuweisen. Auch bei Patient:innen mit Schlaganfall, die von Anfang an eine deutliche Gangabweichung gegenüber gesunden Proband:innen aufweisen, ist diese Art der Ganganalyse möglich.

Kognitive Fatigability

Alertness-Messungen aus der TAP-Testbatterie sind ein objektiver Marker für kognitive Erschöpfbarkeit; besonders, wenn sie im Tagesverlauf oder nach standardisierter Belastung gemessen werden. In einer prospektiven Verlaufsuntersuchung von Dolores Claros-Salinas et al. ergeben sich jetzt Hinweise, dass Fatigue und Fatigability unterschiedliche Rollen spielen als Prädiktoren für die berufliche Wiedereingliederung. Bei der Multiplen Sklerose spielt die subjektive Einschätzung der Patient:innen eine wesentliche Rolle, bei dem Schlaganfall ist es eher der objektive Nachweis einer Reaktionszeitverzögerung. Daraus ist zu schließen, dass der subjektiven Bewertung oder Krankheitsverarbeitung bei der Fatigue, selbst wenn es sich teilweise um organische Phänomene handelt, eine entscheidende Bedeutung zukommt.

Literatur

Spiteri S, Hassa T, Claros-Salinas D, Dettmers C, Schoenfeld MA. Neural correlates of task-dependent and independent fatigue components in patients with Multiple Sclerosis. Mult Scler. 2017 Nov 1:1352458517743090. doi: 10.1177/1352458517743090. [Epub ahead of print]

Sehle A, Vieten M, Sailer S, Mundermann A, Dettmers C. Objective assessment of motor fatigue in multiple sclerosis: the Fatigue index Kliniken Schmieder (FKS). Journal of neurology. 2014, 261 (9): 1752-62.

Sehle A, Vieten M, Mundermann A, Dettmers C. Difference in Motor Fatigue between Patients with Stroke and Patients with Multiple Sclerosis: A Pilot Study. Frontiers in Neurology. 2014, 5: 279.

Neumann M, Sterr A, Claros-Salinas D, Gutler R, Ulrich R, Dettmers C. Modulation of alertness by sustained cognitive demand in MS as surrogate measure of fatigue and fatigability. Journal of the neurological sciences. 2014, 340 (1-2): 178-82.

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Vieten MM, Sehle A, Jensen RL. A novel approach to quantify time series differences of gait data using attractor attributes. PloS one. 2013, 8 (8): e71824.

Claros-Salinas D, Dittmer N, Neumann M, Sehle A, Spiteri S, Willmes K et al. Induction of cognitive fatigue in MS patients through cognitive and physical load. Neuropsychol Rehabil. 2013, 23 (2): 182-201.

Autor

Prof. Dr. Christian Dettmers
Ärztlicher Leiter Neurorehabilitation
Kliniken Schmieder Konstanz

Stiftung-Schmieder-Preis