„Man muss sich Zeit geben."

Patient:innen berichten

Wenn Corona das Leben durcheinanderwirbelt

„Nach der Reha fühle ich mich gewappnet für die vielen Herausforderungen.“

Long Covid

Die Erkrankung mit dem COVID-19-Virus führt zu einer akuten Infektion. Diese hat als wesentliche Symptome Husten, Fieber, Geruchs- und Geschmacksverlust und weitere Symptome, wie wir sie von grippalen Infekten kennen.

Immer mehr wissenschaftliche Studien belegen die klinische Erkenntnis, dass es bei einer Infektion mit dem Coronavirus zu vielfältigen neurologischen Begleiterscheinungen und Folgeerkrankungen kommen kann. Symptome sind u. a. motorische und kognitive Funktionseinbußen, Nerven- und Muskelschmerzen, Geruchs- und Geschmacksstörungen oder aber auch Beschwerden der Atemwege, des Herz-/Kreislaufsystems. Man spricht dann von einem Long Covid-Syndrom, wenn nach dem überstandenen Infekt nach einer gewissen Zeit zusätzliche Symptome hinzutreten, die auf den Infekt zurückgeführt werden, häufig sind dabei neben den genannten Symptomen auch eine vorzeitige Ermüdbarkeit und Erschöpfung.

Oftmals handelt es sich bei den Folgeschäden um eine Kombination verschiedener Einschränkungen, unabhängig vom Schweregrad des Verlaufes der vorangegangenen Covid-19-Erkrankung. Das Krankheitsbild Long Covid ist also sehr vielgestaltig und kann chronisch sein, über viele Monate andauern. Eine qualitativ hochwertige neurologische Nachbetreuung der Betroffenen ist daher sehr wichtig.

Der Begriff Post-Covid wird für Symptome verwendet, die länger als zwölf Wochen nach der akuten Erkrankung anhalten.

April 2020: Das Coronavirus hat Deutschland und die Welt bereits fest im Griff. Es ist eine herausfordernde Zeit, für alle ist die Situation neu, keiner weiß, wie der Krankheitsverlauf sein wird. In dieser ersten Phase der Pandemie wird auch Andreas Sossau positiv auf Covid-19 getestet. Der Chiemgauer erzählt von seiner Diagnose und Erkrankung und wie er als Long Covid-Patient in die Kliniken Schmieder nach Gailingen kommt. Es sind persönliche Einblicke: direkt, unverblümt und mit der einzigen Gewissheit: Genesen bedeutet noch lange nicht gesund.

Meine Corona-Erkrankung an sich fühlte sich eher wie eine leichte Grippe an, ich hatte nicht einmal Schnupfen oder Husten. Eine scheinbar leichte Grippe, aber mit umso schwereren Folgen. Wer weiß wie lange die Spätfolgen noch bleiben, keiner kann sicher sagen, wie sich Long Covid-Symptome entwickeln. Die Ungewissheit, ob ich jemals wieder der Alte sein werde, ob ich wieder ins Berufsleben zurückkehren kann, belastet. Eigentlich bin ich ein Machertyp, immer aktiv, immer unterwegs. Festzustellen, dass Körper und Geist nicht mehr so mitmachen wie früher, das ist schwer.

Ich bin schnell an meine Grenzen gekommen: Ich fühlte mich sehr schnell erschöpft, körperlich wie kognitiv. Mit der starken Erschöpfung, dieser Fatigue, kam auch so ein Ohrgeräusch dazu, wie ein nerviges Wummern. Dann waren da plötzlich Probleme mit der Feinmotorik: Ich konnte den Schlüssel nicht mehr so einfach ins Schlüsselloch stecken. Auch konnte ich mich nicht mehr gut konzentrieren, habe oft Dinge vergessen. Und dann hatte ich noch diesen fehlenden Geruchs- und Geschmackssinn und sogar Wortfindungsstörungen.

Also habe ich mich für die Reha in Gailingen entschieden. Das war die beste Entscheidung. Hier bekam ich ein auf meine Probleme individuell abgestimmtes aber auch straffes Therapieprogramm, da war ich abends schon immer ziemlich platt. Obwohl ich es schon wusste, war es ein Schock, zu realisieren, wie schlecht es um meine kognitiven Fähigkeiten wirklich steht. In den ersten Berufstherapie-Stunden konnte ich z. B. Bilder kaum richtig zuordnen. Man fühlt sich irgendwie so dumm, nicht wie ein erwachsener Mann jedenfalls. Und man fragt sich: Wie kann das bloß sein und wird das je wieder gut? Das Gefährlichste als Long Covid-Patient ist, dass man sich zu schnell überfordert, weil man glaubt, es muss, egal wie, ganz schnell besser gehen. Die lange Anreise, die neue Umgebung, neue Eindrücke, plötzlich jeden Tag Therapie, neue Menschen, das war definitiv zu viel für mich. Man muss sich Zeit geben, das habe ich gelernt.

Gespräche in der Long Covid-Gruppe waren wunderbare Gelegenheit, Ängste und Sorgen mit Gleichgesinnten zu teilen. Zu merken, dass man nicht allein ist hat viel geholfen. Eine konkrete Idee aus der Gruppe möchte ich umsetzen, auch wenn ich eigentlich nicht der Typ dafür bin: Ich werde zukünftig Tagebuch über meine Entwicklung führen. Jeden Erfolg oder Misserfolg möchte ich festhalten, um mich später daran erinnern zu können. Und sogar die Entspannungsübungen beim Relaxationstraining und in der Atemtherapiegruppe fand ich gut, obwohl ich nie ein Freund von solchen mentalen Geschichten war.

Es sind viele kleine Schritte der Besserung, die ich hier während der Reha gemacht habe. Kleinvieh macht ja bekanntlich auch Mist, das motiviert auch. Meine Wortfindungsstörungen sind kaum noch da, meine allgemeine Belastbarkeit und Koordination haben sich stark verbessert. Auch die Fatigue ist nicht mehr so stark wie zu Beginn. Die Abstände beim Treppensteigen kann ich wieder ganz gut einschätzen und den Schlüssel treffe ich ohne Probleme ins Schlüsselloch. Das Computertraining in der Neuropsychologie und die Gespräche dort haben mir definitiv viel gebracht. Ich merke, wie mein Gehirn wieder strukturierter denken kann.

Auf der anderen Seite sind da aber noch etliche Einschränkungen, die mich noch eine Weile beschäftigen. Rechnen mit Zahlen über zehn geht nur, wenn ich mich nicht gestresst fühle oder absolute Ruhe habe. Kurze Geschichten in eigenen Worten zu wiederholen, ist fast unmöglich. Ich kann mich meistens nur an Kleinigkeiten erinnern, den Sinn hinter den Geschichten kann mein Gehirn oft nicht begreifen. Es ist verrückt zu sehen, wie das Gehirn durch das Virus durcheinandergewirbelt wurde.

Nach sechs Wochen Reha fühle ich mich definitiv gewappneter für die vielen Herausforderungen. Ich weiß, wie ich mit gewissen Dingen besser umgehen kann und ich habe gelernt, zu akzeptieren, dass ich Fehler machen darf. Meine Neuropsychologin empfiehlt neben den kognitiven Aufgaben auch mentales Training als Ausgleich. Wichtig sei auch die Selbstfürsorge, also, dass man sich selbst nicht zu sehr unter Druck setzt und egoistisch sein darf, die Füße einfach mal hochlegen. Das alles will ich versuchen. Ein Schritt nach dem anderen.

Viel Bewegung, Atemübungen und Dehnungen gehörten zum Therapieprogramm von Andreas Sossau.
Andreas Sossau schaut trotz aller Einschränkungen optimistisch in die Zukunft.
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