»Ich bin mit mir zufrieden«

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BURHARD WOLTER ÜBER SEINEN UMGANG MIT ATAXIE

»Mir hilft es, vor der Reha keine zu hohen Erwartungen an mich selbst zu stellen«

Ataxie

Eine Ataxie bezeichnet die Störung der Bewegungsabläufe des Körpers. Es treten unkoordinierte Bewegungen auf, die durch die gestörte Zusammenarbeit von Muskelgruppen verursacht werden. Ataxie zählt zu den Degenerationskrank­heiten des Nervensystems, bei denen ein zunehmender Funktionsverlust des Nervensystems die Folge ist. Ursache können Störungen im Rückenmark oder im motorischen System des Gehirns sein. Je nach Form der Krankheit kann sich die Ataxie auch auf den aufrechten Stand eines Betroffenen auswirken oder die Fähigkeit zu sitzen. Es sind allein 60 Formen der erblichen Ataxie bekannt und weitere Ausprägungen, die nicht erblich sind.

Burkhard Wolter ist eine Frohnatur aus Rheinland-Pfalz. Vor über 30 Jahren bemerkt er beim Fußballspielen, dass sein Bewegungsablauf anders ist als der seiner Mitspieler. Lange wissen die Ärzte nicht, was ihm fehlt, erst Jahre später endlich die richtige Diagnose: Es ist eine Ataxie, die seinen Gang erschwert.

„Es war 1985, als ich erstmals verspürt habe, dass irgendetwas mit meinem Bein nicht in Ordnung war. Wie jedes Jahr waren wir zu Pfingsten mit Bekannten auf einem Campingplatz. Wir Männer haben Fußball gespielt, als mir aufgefallen ist, dass ich anders laufe als normalerweise. Zuerst hab ich mir nichts dabei gedacht. Aber ich wusste, irgendwas stimmte nicht.

Meine erste Diagnose beim Neurologen war 1986. Man vermutete, ich hätte Multiple Sklerose, da die Symptome einander sehr ähnlich sind. Zu jener Zeit war meine Krankheit jedoch erst seit Kurzem bekannt, sodass kaum ein Arzt damit vertraut war. Viele Untersuchungen wurden gemacht, auch um herauszufinden, ob es kein Zeckenbiss gewesen sein könnte. Aber alle Spritzen und Tabletten halfen nichts. Erst nach langer Ungewissheit kam ich glücklicherweise nach Würzburg in eine Klinik, in der zum ersten Mal festgestellt wurde, was ich habe. Das war alles nicht so einfach. Meine Arbeit bei der Post musste ich infolge der Krankheit aufgeben und meine Frau wurde krank. Als sie starb, war unsere Tochter noch sehr jung und ich hatte Angst, noch einen tiefen Absturz zu erleiden. Wir haben uns aber wieder berappelt. Für die Unterstützung meiner Tochter bin ich sehr dankbar.

Seit 1991 komme ich regelmäßig in die Kliniken Schmieder nach Gailingen. Sobald ich von Zuhaus‘ nach Gailingen auf den Berg komme, schalte ich total ab. Das ist pure Entspannung für mich und tut mir einfach sehr gut. Damit verglichen, muss man zuhause an viele Dinge denken. Hier muss ich nur wissen, wann ich zur Physiotherapie und zur Ergotherapie gehen muss – dort gebe ich dann alles.

Mir hilft es, vor der Reha keine zu hohen Erwartungen an mich selbst zu stellen. Dann kann ich mich damit überraschen, wie viel ich geschafft habe und setze mich nicht unter Druck. Besonders wichtig ist mir nämlich, meine Ausdauer zu verbessern und meinen jetzigen Stand zu halten. In der Physiotherapie und auf dem Laufband trainiere ich hart. Da schaffe ich mittlerweile 2.000 Meter. Und das ist eine Menge, wenn ich daran zurückdenke, dass vor zwei, drei Jahren 200 Meter noch sehr viel für mich waren. Aber man muss an sich arbeiten. Viele machen den Fehler und hören auf, wenn es schwierig wird. Das Laufen mit dem Rollator ist anstrengend. Es erfordert viel Konzentration, aber ich weiß, dass ich nicht zu lange im Rollstuhl sitzen darf. Sonst gewöhne ich mich daran und das nächste Mal ist es mit dem Rollator umso anstrengender. Darum laufe ich selbst, solange es geht.

Jedes Mal, wenn ich von der Reha nach Hause in meine Wohnung komme, habe ich viel mehr Kraft in meinen Beinen. Das ist ein toller persönlicher Erfolg, der auch meiner Tochter auffällt. Neben der Reha ziehe ich besondere Kraft aus meinem Hobby, der Filmerei – das ist wie meine eigene Werktherapie. Das nimmt zwar viel Zeit in Anspruch und ich brauche zum Schneiden und Nachvertonen meine Ruhe, aber es ist eine Leidenschaft. Lange Zeit habe ich Filme vom Karneval gedreht, der letzte Film wurde bei der Gailinger Fasnacht aufgenommen. Jetzt liegt er noch auf meinem Schreibtisch und muss nach bearbeitet werden. Heute habe ich mich mit meiner Krankheit arrangiert und ich bin ruhiger geworden. Ich bin mit mir zufrieden und es geht mir sehr gut. Meine Beine wollen zwar nicht, wie ich möchte, aber ich seh‘ mich deshalb nicht als krank an. Ich rate anderen Patienten, nicht aufzuhören, wenn es schwierig wird oder die Anstrengung zu groß ist. Das lohnt sich.“

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