»Bevor die Familie darunter leidet, muss man eben umdenken«

Patienten berichten

NACH EINEM ARBEITSUNFALL UND ZAHLREICHEN RÜCKSCHLÄGEN IST ENGLBERT LENHART QUERSCHNITTSGELÄHMT.

»Es bringt nichts, immer nur zu jammern«

Querschnittslähmung

Unter einer Querschnittslähmung versteht man die Folgen einer kompletten Durchtrennung oder inkompletten Schädigung des Rückenmarksquerschnitts. Es zeigt sich ein Lähmungsbild mit Ausfall motorischer, sensibler und/oder vegetativer Körperfunktionen unterhalb der Schädigung. Je nach der Schwere unterscheidet man eine komplette Lähmung (Plegie) von einer inkompletten Lähmung (Parese).
Prinzipiell können alle Krankheiten, die das Rückenmark zerstören, zu einer Querschnittslähmung führen. Dies können Tumore, Infektionen, Gefäßerkrankungen oder Strahlenschäden sein. Die mit weitem Abstand häufigste Ursache sind Verletzungen der Wirbelsäule. Fast die Hälfte aller Querschnittslähmungen werden durch Autounfälle oder Fahrradunfälle verursacht. Stürze aus größeren Höhen sind ebenfalls relativ häufig.

2009 erleidet Englbert Lenhart einen Arbeitsunfall, stürzt 6 Meter vom Gerüst hinunter. Nach zahlreichen Rückschlägen sitzt er im Rollstuhl und ist mittlerweile querschnittsgelähmt. Doch trotzdem hat er sein Lachen nicht verloren, fährt in den Camping-Urlaub mit seiner Familie und in seiner Freizeit Handbike. Er ist sich sicher: man muss das Beste daraus machen und immer voraus schauen!

„Ich bin gelernter Spengler und Dachdecker. Ich arbeitete in einem Ziegelwerk. Aus unerklärlichen Gründen fiel das Gerüst eines Tages um. Ich stand darauf, wollte mich noch auf das Dach retten – schaffte es aber nicht und fiel aus sechs Meter Höhe ins liegende Gerüst. Die Unfallstelle im Ziegelwerk lag abgelegen und der Unfall passierte zur Brotzeit, so dass ich dort einige Zeit unentdeckt lag, bis ich endlich gefunden und ein Krankenwagen, bzw. Rettungshubschrauber gerufen wurde. Ich war die ganze Zeit bei Bewusstsein! Meine Frau hatte außerdem ausgerechnet an diesem Tag ihr Handy zuhause vergessen, so dass sie erst im Laufe des Tages erreicht werden konnte. Ein Wirbel war zermalmt, deswegen war mein Zustand am Anfang noch kritisch. Zwei Tage später holten die Ärzte diesen dann heraus, da war ich über den Berg.

Dann ist es aber erst so richtig losgegangen: Ich hatte immer Schmerzen, doch mein Arzt war der Überzeugung, dass der Schmerz seinen Ursprung im Rücken hat. Als ich es irgendwann gar nicht mehr ausgehalten habe, wurde ich endlich geröntgt. Dabei stellte sich heraus, dass fast alles gebrochen war - Becken, Schambein, Hüfte, Steißbein und Kreuzbein –, die hätten mich gar nicht in einen Rollstuhl setzen dürfen. Meine Hüfte und das Schambein sind nun falsch zusammengewachsen. Doch der nächste Rückschlag ließ nicht lange auf sich warten: Die Schrauben des Fixateurs haben sich durch die Muskulatur gebohrt und die eine Stange setzte bei Bewegung auf meinem Wirbel auf. Sie hatten mir einen alten Fixateur eingesetzt um Zeit zu sparen und dadurch eine Querschnittslähmung zu verhindern. In einer OP wurde dann ein neuer eingebaut. Im Anschluss kam ich in eine Reha in Grafenau. Dort arbeitete man mehrere Stunden am Tag in der Werkstatt, ich war in der Schreinerei. Das war das Ende. Dort bin ich zusammengebrochen, es hat an der Wirbelsäule gekracht und danach war ich querschnittsgelähmt. Von dort aus bin ich auf direktem Wege auf eine Querschnitts-Station in ein Krankenhaus gekommen.

Seit Anfang April bin ich nun zum ersten Mal in Reha bei den Kliniken Schmieder. Anfangs noch in Gailingen, aber das war für mich nicht optimal. Nach einer Woche bin ich nach Konstanz gekommen. Hier habe ich Gruppen- und Einzelsitzungen zur Psychosomatik und zur Schmerzbewältigung. Malen, Serviettentechnik, Arbeit mit Ton und Körbe flechten – beim Kunst schaffen verdränge ich meine Schmerzen total. Seit 2012 habe ich das für mich entdeckt. Während meiner Reha 2016 hat mir meine Familie als Überraschung auch ein Hobby-Zimmer hergerichtet! Da kann ich jetzt auch zuhause richtig aktiv sein.

Zuletzt hatte ich zuhause einige Stürze, beispielsweise beim Umsetzten, wo ich mir unter anderem einen Wirbel verletzt habe. Die Nervenwurzel ist herausgerissen und kleine Teilchen der Wirbelsäule abgesplittert. Eine OP ist schwierig, weil dort die Nerven vom Gehirn entlang laufen. Ich konnte vor der Reha bei Schmieder den Arm kaum anheben, nun fehlt nur noch ein kleines Stückchen! Das wurde hier therapeutisch super mit Massage und Bewegung behandelt. Auch Schwimmen habe ich hier neu gelernt. Die letzten Jahre konnte ich nur mit Rückengurt schwimmen, weil mich das Metall im Rücken sonst herunterzieht und Schmerzen verursacht. Der Therapeut hat mit mir erfolgreich die Rückenmuskulatur aufgebaut – mittlerweile schwimme ich 20 Runden. Das war hier die erfolgreichste Reha, die ich je gemacht habe!

Auch mein Allgemeinzustand hat sich verbessert, mein Rumpf ist viel lockerer – nur in der Nacht hapert es noch. Jede Nacht träume ich, dass ich vom Dach falle. Nicht nur, dass der Schlaf nicht erholsam ist, sondern ich falle nachts oftmals dabei aus dem Bett, weil ich während dem Sturz mit den Armen rudere. Wir haben hier erst mit der Behandlung begonnen, aber das wird beim nächsten Aufenthalt weiterfortgeführt.
Seit meinem Unfall ist unser Familienhalt noch besser geworden. Mitte des Monats fahre ich mit meiner Frau mit dem Wohnwagen an die Adria. Unser Sohn hilft uns dann netterweise beim Aufbau. In meiner Zeit hier bin ich viel Handbike gefahren – stolze 1000 Kilometer bisher. Damit fahre ich auch für die anderen Patienten einkaufen.

Anderen Patienten würde ich raten mehr rauszugehen! Man kann mit dem Bus fast alles erreichen. Außerdem muss man lernen, den Zustand zu akzeptieren. Es dauert eine Zeitlang und es ist nicht leicht, aber bevor die Familie darunter leidet oder gar zugrunde geht, muss man eben umdenken. Du kannst es eh nicht mehr ändern, sondern musst das Beste daraus machen und stattdessen vorausschauen und planen! Es bringt nichts, immer nur zu jammern, mit einem Tunnelblick nur die Krankheit zu sehen und in Selbstmitleid zu versinken. Das reibt einen nur von innen auf.“

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