„Ich setze meine Prioritäten jetzt anders."

Patient:innen berichten

Die Unberechenbarkeit von Long Covid

„Ich begreife das auch als Chance, alte Strukturen zu überdenken.“

Long Covid

Die Erkrankung mit dem COVID-19-Virus führt zu einer akuten Infektion. Diese hat als wesentliche Symptome Husten, Fieber, Geruchs- und Geschmacksverlust und weitere Symptome, wie wir sie von grippalen Infekten kennen.

Immer mehr wissenschaftliche Studien belegen die klinische Erkenntnis, dass es bei einer Infektion mit dem Coronavirus zu vielfältigen neurologischen Begleiterscheinungen und Folgeerkrankungen kommen kann. Symptome sind u. a. motorische und kognitive Funktionseinbußen, Nerven- und Muskelschmerzen, Geruchs- und Geschmacksstörungen oder aber auch Beschwerden der Atemwege, des Herz-/Kreislaufsystems. Man spricht dann von einem Long Covid-Syndrom, wenn nach dem überstandenen Infekt nach einer gewissen Zeit zusätzliche Symptome hinzutreten, die auf den Infekt zurückgeführt werden, häufig sind dabei neben den genannten Symptomen auch eine vorzeitige Ermüdbarkeit und Erschöpfung.

Oftmals handelt es sich bei den Folgeschäden um eine Kombination verschiedener Einschränkungen, unabhängig vom Schweregrad des Verlaufes der vorangegangenen Covid-19-Erkrankung. Das Krankheitsbild Long Covid ist also sehr vielgestaltig und kann chronisch sein, über viele Monate andauern. Eine qualitativ hochwertige neurologische Nachbetreuung der Betroffenen ist daher sehr wichtig.

Der Begriff Post-Covid wird für Symptome verwendet, die länger als zwölf Wochen nach der akuten Erkrankung anhalten.

Anfang 2021 möchte sich Katrin Apelt-Wolf wie viele andere auch, so schnell wie möglich gegen Covid-19 impfen lassen, doch sie gehört lange nicht zur priorisierten Gruppe. Dann passiert es und sie steckt sich Anfang April ungeimpft mit dem Coronavirus an. Am Tag des positiven Abstrichs bekommt sie massive Rückenschmerzen, muss sich übergeben. In den darauffolgenden Tagen kommen weitere Symptome dazu. Es ist kein milder, aber auch kein sehr schwerer Verlauf. Viel schwerer ist der Kampf, den Katrin Apelt-Wolf nach ihrer offiziellen Genesung austragen muss: der Kampf gegen die Post- und Long Covid-Symptome.

„An sich ging es mir während der akuten Erkrankung und der insgesamt 17-tägigen Quarantäne ganz gut, ich habe sogar kurze Zeit danach wieder für circa zwei Wochen gearbeitet, die Krankheit erstmal gut wegsteckt sozusagen. Den Geschmacks- und Geruchssinn habe ich ganz am Anfang verloren, aber glücklicherweise nach fünf bis sieben Tagen war beides wieder da.

Nach und nach kam aber eine bunte Mischung an Symptomen dazu, die teilweise für eine Weile geblieben sind und wieder verschwanden, und dann nach einer gewissen Zeit wieder zurückkamen. Das ist, denke ich, das Schlimme an den Covid-19-Symptomen: diese Unberechenbarkeit und die Kombination aus körperlichen und kognitiven Folgebeschwerden. Der Tinnitus zum Beispiel kommt urplötzlich, bleibt für circa vier bis fünf Wochen, geht und kommt dann wieder.

Einfachen Gesprächen zu folgen, fällt mir schwer, teilweise habe ich starke Wortfindungsstörungen, kann mich kaum konzentrieren. Begleitet wird das Ganze leider von Ohren- und Kopfschmerzen, auch Schlafstörungen habe ich seit meiner Corona-Erkrankung zunehmend. Im Sommer habe ich dann gemerkt, dass ich immer vergesslicher werde. Eigentlich brauche ich zum Einkaufen keine Notizen, aber das geht jetzt nicht mehr ohne.

Die Teilnahme an einer Long Covid-Studie der Uniklinik Freiburg, für die ich vom Gesundheitsamt Karlsruhe angefragt wurde, zeigte, dass die Atembeschwerden ein großes Thema bei mir sind. Ich werde schnell kurzatmig, schon bei kleinster Belastung. Für die Studie musste ich meinen Blutdruck, Puls, Sauerstoffsättigung sowie die Atemfrequenz protokollieren. Als die Anfrage kam, habe ich nicht gezögert, denn mir ist es wichtig, anderen Menschen Infos zu Long Covid zu vermitteln. Mit der Teilnahme kann ich einen Teil dazu beitragen, dass man mehr über diesen Virus und seine Tücken erfährt.

Erschöpfungsgefühl ist immer da

Was mich extrem schlaucht, ist dieses dauerhafte Erschöpfungsgefühl, also diese Fatigue. Ich habe immer wieder das Bedürfnis zu schlafen, selbst kleine Aktivitäten machen mich völlig fertig, ich fühle mich schnell platt, bin kaum belastbar. Es fühlt sich an, als würde einem von einem Moment zum nächsten der Stecker gezogen. Ganz besonders seltsam finde ich das Kribbeln in den Beinen. Am Anfang dachte ich, da krabbeln irgendwelche Tierchen auf meinen Beinen. Seit einem halben Jahr bin ich wegen all der Beschwerden krankgeschrieben, es ging einfach nicht mehr.

Während der Reha in den Kliniken Schmieder Gailingen haben sich viele der Symptome gebessert, vor allem meine Fitness ist durch die Sporttherapie deutlich besser geworden. Es sind kleine Schritte, aber das kognitive und motorische Training schlägt an. Besonders viel Hoffnung machen mir die Fortschritte in der Berufstherapie und der Neuropsychologie. Die Therapeut:innen dort sagen, dass die Prognose gut ist, dass sich meine kognitiven Einschränkungen regenerieren. Ich finde die Übungen im Gedächtnistraining echt gut. Aber für alles gilt: man muss sich Zeit nehmen und geben.

Wichtig finde ich auch, dass man für sich selbst die Situation, in der ich und viele andere Long Covid-Patient:innen stecken, annimmt und die Beschwerden erst einmal akzeptiert. Man kann es ja sowieso nicht ändern, also warum alles so negativ sehen? Aber klar, es ist schwer. Daher finde ich auch die Long Covid-Gesprächsgruppe hier in Gailingen so gut, man kann sich ganz offen austauschen mit seinen Sorgen und Ängsten. Auch die Facebook-Selbsthilfegruppe für Long Covid-Patient:innen hilft mir sehr, mit der psychischen Belastung klar zu kommen. Die spielen neben den körperlichen Einschränkungen eben eine große Rolle.

Prioritäten anders setzen

Ganz besonders viel Kraft gibt mir meine Familie. Mein Mann managt den Haushalt während meiner Reha wirklich super, versorgt die Kinder bestens. Dabei ist er eigentlich nicht der geborene Hausmann. Meine zwei Kinder sind sowieso der Wahnsinn und haben sich kein einziges Mal beklagt, dass der Sommerurlaub nicht wie geplant stattfinden konnte. Wir haben wegen meiner ständigen Erschöpfung nur kleinere Tagesausflüge gemacht, aber selbst danach lag ich erstmal vier Tage flach und musste mich erholen. Meine Vergesslichkeit nehmen sie mit Humor und nennen mich mittlerweile Dori – wie der vergessliche Fisch aus dem Animationsfilm ‚Findet Nemo‘. Das finde ich ganz sympathisch.

Erleichtert bin ich, dass auch mein enger Freundeskreis mittlerweile versteht, dass ich Verabredungen oft absagen muss – nicht, weil ich keine Lust habe, sondern weil ich einfach zu erschöpft bin. Aber da bin ich wirklich entspannt geworden: Man muss eben nicht allen Verpflichtungen nachgehen aus falscher Höflichkeit. Ich setze meine Prioritäten jetzt anders, ich bin ganz bei mir.

Klar, ich möchte wieder belastbarer werden, aber ich denke, Zeit ist ein wichtiger Faktor. Jetzt heißt es vielleicht auch erst einmal zu entschleunigen. Der Alltag in meiner Familie muss nach der Reha natürlich neu organisiert werden, aber ich begreife das auch als Chance, alte Strukturen zu überdenken. In ein paar Monaten komme ich dann zur zweiten Reha nach Gailingen zurück. Die Zukunft ist ungewiss aber ich bleibe definitiv optimistisch.“

In der Berufstherapie trainiert Katrin Apelt-Wolf ihre Konzentrationsfähigkeit, zum Beispiel beim Richten von Medikamentendosen.
Durch die Sporttherapie konnte Katrin Apelt-Wolf ihre Fitness deutlich steigern.
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