Heike Schmieder-Wasmuth

Im Gespräch

„Zuerst kommen die Patienten, dann die Familie“

Heike Schmieder-Wasmuth ist die älteste Tochter des Klinikgründers. Sie und ihre Schwester Dagmar haben die ersten Jahre des Klinikbeginns miterlebt. Nach 33 Jahren aktiver Mitarbeit in den Kliniken begleitet sie heute das Klinikgeschehen als Gesellschafterin, Familienstiftungsvorstand und stellvertretende Beiratsvorsitzende

Was bedeutet das Jubiläum für Sie?

Freude ... ganz einfach Freude. Wir sind gesund, das Unternehmen ist gesund. Ich kann nicht umhin an meinen Vater zu denken: auch er würde sich darüber freuen. Seit seinem Tod vor 33 Jahren hat sich die Welt enorm verändert. Die Kliniken sind um mehr als das Doppelte gewachsen. Was er als Familienunternehmen konzipiert hat, hat Bestand und ist solid. Langfristig orientiertes Denken und Handeln eben, wie er es vormachte und wie es die Kliniken Schmieder auszeichnet.

Sie waren neun Jahre und ihre Schwester Dagmar fünf Jahre alt, als Ihr Vater die Klinik, genauer die „Kuranstalt Dr. Schmieder“ am 1.11.1950 in Gailingen startete. Wie erlebten Sie und Ihre Schwester diese Anfangszeit?

Die Rheinburg, das waren ein paar Häuser, ein riesiger Park, der für uns wunderbare Spielmöglichkeiten bot, sogar Hänge zum Schlittenfahren. Und es gab noch einige andere Kinder, von einer Mitarbeiterin und vom angrenzenden Gutshof. Zum Glück, so musste ich nicht allein zur Schule laufen, denn der Schulweg ins Dorf war lang und im Winter dunkel, es gab weder einen Gehweg noch eine Straßenbeleuchtung. Wir durften Katzen und weiße Mäuse haben. Mein Vater, der Städter, hielt sich zum ersten Mal in seinem Leben einen Hund. Bald darauf kamen auch noch Esel, Fasane und sogar Affen dazu zur Freude der Patienten.
Mein Vater war in den ersten Wochen der einzige Arzt. Er war auch sein eigener Geschäftsführer und kam dieser Aufgabe durch Learning by doing nach, was nicht ohne Pannen abging. Außerdem führte er in Kirchheim/Teck seine Praxis noch weiter, um wenigstens irgendwo Geld zu verdienen, denn er hatte ja die übernommenen 20 Mitarbeiter zu bezahlen, aber zunächst in Gailingen noch keinen einzigen Patienten. Viel Zeit verbrachte er mit dem Werben für sein therapeutisches Angebot, also antichambrieren, schreiben, Vorträge halten.

«Wir lebten mit und zwischen den Patienten, grüßten im Vorbeilaufen knicksend und feierten Nikolaus und Weihnachten mit ihnen gemeinsam.»

Wir Kinder aßen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im „Jägerstübchen“, hinter der Küche im Souterrain, die Eltern an der langen Tafel oben im Haus mit den anfangs nur 20 Patienten. Das waren hauptsächlich psychiatrische Patienten, versuchte und vollzogene Suizide inklusive. Wir lebten mit und zwischen den Patienten, grüßten im Vorbeilaufen knicksend und feierten Nikolaus und Weihnachten – meine Schwester als Engelchen mit Zahnlücke – mit ihnen gemeinsam. Das hat uns fürs Leben beigebracht: Erst kommt die Klinik, genauer: die Patienten und dann das Familienleben. Und das ist eigentlich bis heute die Reihenfolge geblieben.

Wie nahmen Sie in den ersten Jahren den Alltag in der Klinik wahr?

Die „Kuranstalt“ wuchs zwar rasant, doch bis in die 1960er-Jahre hinein kannten alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einander. Die geografische Abgeschiedenheit führte zu einem Zusammengehörigkeitsgefühl, das bis in die Freizeit reichte. Es gab Sprachkurse, vor allem Französisch, wir gehörten ja zur französischen Besatzungszone, auch Kegelgruppen und manches mehr.

Unser Vater hielt uns Töchter später, wenn wir zuhause waren, über alle wichtigen Entwicklungen auf dem Laufenden. Seine Begeisterung, sein ständiges Ausphantasieren von neuen Möglichkeiten war sehr mitreißend. So gewann er uns beide für seine Arbeit. Die Kliniken Schmieder erfüllen eine gesellschaftliche Aufgabe, die bald auch uns am Herzen lag. Uns begeisterte die Möglichkeit, dabei mitwirken zu können.

Welches waren Ihre Arbeitsschwerpunkte im Laufe der Jahre im Unternehmen?

Nach dem Abitur in Singen, dem Studium der Psychologie, Theaterwissenschaft, Germanistik und Romanistik arbeitete ich ab 1973 in Gailingen und hatte ziemlich viele Arbeitsschwerpunkte. In den ersten beiden Jahren arbeitete ich bei den Psychologen mit. Ab 1975, mit dem Hinzukommen meiner Schwester Dagmar, ernannte mein Vater uns zu stellvertretenden Geschäftsführerinnen. Ich war zuständig für die Bereiche Personalabteilung und die Wirtschaftsabteilungen in Gailingen und Allensbach. Außerdem war ich für das Filmtherapeutische Studio verantwortlich, für den Aufbau der Reha begleitenden Gesundheitsförderung, auf die die Kostenträger zunehmend Wert legten und für den Bereich Pädagogik.

Prof. Friedrich Schmieder, Heike Schmieder-Wasmuth, Dagmar Schmieder und Marianne Schmieder

Ich hielt Einführungsvorträge für die Patienten in Gailingen, bot ein Schulungsprogramm für Pflegekräfte an, bei mir liefen Besichtigungswünsche ein, die ich organisierte, ich war Ansprechpartner für Selbsthilfeorganisationen, schrieb Texte für Prospekte und Festschriften, übernahm oft die Korrespondenz für meinen Vater. Dies alles über Jahre, aber nicht alles gleichzeitig. Die Aufzählung ist sicher nicht vollständig.

Besondere Freude machte es mir, meinen Vater in den 1970er-Jahren beim Projekt Hochfelden zu unterstützen. Im elsässischen Hochfelden sollte eine neurologische Rehabilitationsklinik für Europa nach dem Modell der Kliniken Schmieder entstehen. Die Idee war toll, aber es mangelte an der finanziellen Beteiligung der einzelnen Länder, speziell der von deutscher Seite. Ich wurde schließlich 1986/1989 Mitbegründerin und Vorstandsmitglied von E.B.I.S., European Brain Injury Society. Für E.B.I.S. organisierte ich eine internationale Tagung in Allensbach im Mai 1996, finanziert von der europäischen Kommission. So wurden wir in den 1990er-Jahren nochmals, nach dem Projekt Hochfelden, zum europäischen Modell für Neurologische Rehabilitation.

Neurologische Rehabilitation gab es noch nicht. Worin bestand die Pionierarbeit in Gailingen?

Mein Vater postulierte das, was wir heute Plastizität des Gehirns nennen, nämlich die lebenslange Lernfähigkeit auch des erkrankten Gehirns. Mit bildgebenden Verfahren ist sie heute nachweisbar. Er war überzeugt davon, auch für Hirngeschädigte, deren Schädigung schon länger zurücklag, Besserungen zu erreichen. Damit stand er unter Medizinern zunächst ziemlich allein. Doch der Erfolg gab ihm recht.

In Gailingen lag bei den vom südbadischen Versorgungsamt zugewiesenen Hirnversehrten des 2. Weltkriegs der Schwerpunkt von Anfang darauf, durch gezielte Therapiemaßnahmen Funktionsstörungen zu bessern, sowie leben und arbeiten zu lernen mit dem, was nicht zu bessern ist. Zur Überprüfung der noch bestehenden beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten gab es Werkstätten. Und es kam regelmäßig die Berufsberatungskommission vom Landesarbeitsamt Stuttgart nach Gailingen, um Patienten in Arbeitsstellen zu vermitteln.

«Mein Vater postulierte das, was wir heute Plastizität des Gehirns nennen. (...) Damit stand er unter den Medizinern zunächst ziemlich allein. Aber der Erfolg gab ihm Recht.»

Pionierarbeit wurde sowohl bei der Entwicklung von neuropsychologischen Übungsprogrammen, bei der Berufstherapie wie auch für die Sprachtherapie geleistet. In den Logopädieschulen und beim Fach Linguistik an den Universitäten gab es noch keine Ausbildung für Sprachtherapie bei Hirngeschädigten. Deshalb wurde eine hausinterne entsprechende Schulung mit Abschlusszeugnissen geboten.

Was waren aus Ihrer Sicht wichtige Wegmarken in den letzten sieben Dekaden?

Ich möchte und kann gar nicht alles aufzählen, was in diesen vielen Jahren an Neuem entstand oder entwickelt wurde. Für besonders originell halte ich die Arbeit des Filmtherapeutischen Studios (FTS), das ein Merktraining mit audiovisuellen Mitteln entwickelte. Es wurde erst überholt durch den Einsatz von Computerprogrammen, „Computer helfen heilen“, Ende der 1980er-Jahre eingeführt bei uns mit Hilfe von Frau Hannelore Kohl über das Kuratorium ZNS. Auch eine Anleitung zum mentalen Training mit filmischer Unterstützung entstand im FTS. Besonders erwähnen möchte ich auch das ökologische Engagement meiner Schwester Dagmar ab Anfang der 1980er-Jahre, das sich über viele Bereiche erstreckte: Wasserqualität, verwendete Nahrungsmittel, die erste Gastankstelle, das erste Mehrfamilien-Niedrigenergiehaus, ökologisch produzierte Bettwäsche und manches mehr. Das ist inzwischen alles derart selbstverständlich geworden, dass wir schon kaum mehr davon sprechen.

Familienunternehmen in Deutschland schaffen oft nicht den Sprung in die dritte Generation. Wie gelang es den Familien Schmieder über so lange Zeit die Kontinuität zu erhalten?

Wir leben alle in räumlicher Nähe zu den Kliniken. Auch meine jüngste Schwester, Alexandra, von der bisher noch nicht die Rede war, wuchs in Gailingen auf. Sie hat einige Jahre die Klinik in Gailingen geleitet, dies aber aus familiären Gründen wieder beendet. Wir haben uns alle ausdrücklich dafür entschieden, für das Wohl der Kliniken, d.h. seiner Patienten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorrangig Sorge zu tragen.

Was zeichnet Ihrer Meinung nach die Kliniken Schmieder besonders aus?

Die vielfach gelobte Leistung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und daran haben nicht nur die Ärzte, die Pflege, die Therapeuten teil. Richtig wohl fühlen sich unsere Patienten dann, wenn ihnen von allen Personen, mit denen sie zu tun haben, Freundlichkeit, Verständnis und Hilfsbereitschaft entgegengebracht wird. Am Empfang, vom Fahrdienst, von den Hausmeistern bis zu den Reinigungskräften – um nur einige zu nennen. Darauf beruht unser guter Ruf bei allen Geschäftspartnern, Patienten, Kostenträgern und Sozialministerien. Die Kliniken Schmieder stehen für Qualität auf allen Ebenen. Sie sind verlässlich. Was wir, die Trägerfamilie, sagen, tun wir auch. Und was wir tun, wollen wir richtig und gründlich machen. Das ist unser Anspruch an uns selbst. Es scheint – das sollten eigentlich andere beurteilen – dass uns das meistens gelingt.

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